Doch woher stammt diese unglaubliche Gewaltbereitschaft schon unter Jugendlichen und der Willen anderen Schaden zuzufügen? Was sind die Hintergründe und was können Eltern und Betroffene tun?
Was genau sind eigentlich Gewalt und Ausgrenzung?
Das Wort Gewalt stammt vom althochdeutschen „waltan“ für „stark sein“ und „beherrschen“. Es besteht auch eine gewisse Verwandtschaft zu „walten“ im Sinne von „ein-wirken“.
Obwohl das Wort damit also einen neutralen Hintergrund hat, ist es heute fast zu einhundert Prozent negativ belegt. Als gewaltsam gelten Handlungen und Dynamiken, die hindernd oder schädigend auf das Umfeld, Mensch, Tier und Dinge einwirken.
Neben Schlägen und anderen offensichtlichen Formen der körperlichen Gewaltausübung muss man heute unbedingt auch Mobbing, emotionale und psychosoziale Übergriffe dazu definieren.
Hindernde oder blockierende Einflüsse können sehr subtile Gewalt-Formen sein:
• Lästern
• Gruppenzwänge
• emotionale Erpressungen (auch unter „Freunden“)
• der Entzug von Aufmerksamkeit und Beachtung
• Vorurteile (leider oft auch von Lehrkräften)
• einschränkende Wertungen und Urteile (ohne die gleichzeitige Darbietung von Lösungen und konstruktiven Wegen)
• abwertende Kommentare
• usw.
Die Ausgrenzung ist ganz klar der Ausschluss einzelner aus Gemeinschaften und Dynamiken. Ausgrenzung geht meistens mit einer Abwertung der Persönlichkeit einher:
„Du bist nicht so, wie du sein sollst und darfst nicht mitmachen.“
Durch Nichtachtung oder Abwertung bestimmter Schüler in der Gruppe, Klasse oder in einzelnen Fächern geschieht ebenfalls eine Ausgrenzung: „Du kannst das nicht oder bist nicht gut genug.“
Sehr oft kommen Ausgrenzungen in den sozialen Klassenstrukturen vor. Cliquen und Verbände schließen bestimmte Schüler aus oder entlassen diese aus Gruppenverbänden, wenn sie sich nicht entsprechend der Dynamiken verhalten, als „Strafe“ oder einfach aus einer Laune der „Leader“ heraus.
Erschreckende Zahlen aus einer deutschen Studien
Im Jahr 2019 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung eine alarmierende Studie. Befragt wurden bundesweit 3448 Schüler zwischen acht und 14 Jahren.
• 30 Prozent der befragten Grundschüler gaben an, im Vormonat von Mitschülern gehänselt, ausgegrenzt oder „absichtlich gehauen“ worden zu sein.
• An Haupt-, Real-, Gesamt- und Sekundarschulen gaben das 20 Prozent aller Schüler an.
• An Gymnasien waren es 10 Prozent.
Insgesamt entspricht das einem Anteil von 65 Prozent Schüler, die eine Form von gewalttätigen Übergriffen im schulischen Umfeld (Schulweg, private Begegnungen, soziale Medien) kennen.
Nur 22 Prozent aller Schüler gab ab, Übergriffigkeiten bisher gar nicht erlebt zu haben.
Rund ein Viertel der Schüler gab zu, sich im Schulalltag „nicht sicher“ zu fühlen.
Doch woher stammt die Gewalt unter Kinder und Jugendlichen?
Es kann nicht geleugnet werden, dass gewalttätige Umgangsweisen oder Unterhaltungsformen in unserer Gesellschaft fast schon „normal“ sind.
Schaut man sich alleine das Fernsehprogramm an oder betrachtet kritisch womit auch wir Erwachsenen uns unterhalten, ist die Gewalt-Fixierung fast kein Wunder: Mord, Totschlag, Krisen, nicht endende Dramen in Soap-Operas, schlechte Nachrichten jeden Tag pünktlich um 20 Uhr in fast alle deutschen Haushalte.
Jugendliche unterhalten sich mit gnadenlosen Konkurrenz-Shows (Super Model und dergleichen) und Ego-Shootern. Nur allzu oft wird Mobbing im TV als „cool“ inszeniert und das Leid anderer als witzig vermarktet.
Erwachsenen kauen zuhause gerne Probleme durch, reden schlecht über Menschen oder Dinge, die sie nicht mögen oder haben eine pessimistische Haltung dem Leben gegenüber. Solche Strukturen können die Basis für Ängste und ein mangelndes Selbstwertgefühl bei Jungen und Mädchen sein.
Dürfen sich junge Menschen zuhause nicht frei ausdrücken und entfalten (zu viele Verbote, Regeln, Anforderungen), sind weitere Grundlagen für Mangeldenken und Defizite im Selbstvertrauen gelegt.
Leider herrscht auch an vielen Schulen ein Klima des erbitterten Wettkampfs, der Konkurrenz oder der Ausgrenzung schwächerer oder weniger intelligenter Menschen. Wer nicht in die Raster passt, verliert schnell sein Selbstvertrauen und die Freude am Schulalltag.
Worte wie Freundlichkeit, Kooperation und Team-Geist werden nicht an allen Schulen ausgesprochen oder gefördert.
Würde man sich als Außenstehender in so manch ein Lehrer-Kollegium schauen, träfe man wahrscheinlich oft genug ebenfalls auf Konkurrenzdenken oder Unstimmigkeiten unter den Lehrkräften, denn auf gewaltfreie Kommunikation und Konsens.
Damit sind die Themen Gewalt und Ausgrenzung im schulischen Umfeld und in der Gesellschaft nur zu einem kleinen Teil angerissen. Der Überblick vermittelt aber doch eindrucksvoll wie allgegenwärtig diese Strukturen sind.
Wer ist das bevorzugte Ziel?
Es ist schwer einheitlich zu sagen, dass dieser oder jener Typ das klassische Ziel von Mobbing, Hänseleien und Ausgrenzung ist. Dennoch gibt es gewisse Tendenzen:
• Minderheiten wie Ausländer, Streber, Einzelgänger, „Nerds“
• auffällig aussehende Jungen und Mädchen
• Schüler aus finanziell oder sozial schwachen Haushalten
• sensible Persönlichkeiten
• Schüler, die sich schwer abgrenzen können
• Schüler, die „gefallen“ wollen
• typische „Opfer-Persönlichkeiten“
• Schüler mit geringem Selbstwertgefühl (zögernd, zweifelnd, zu passiv).
Gruppendynamiken und Umfelder spielen dabei eine ebenso große Rolle wie das Wesen und der gegenwärtige Entwicklungsstand eines Kindes. So kann es sein, dass ein Kind im schulischen Umfeld große Probleme hat und im privaten Umfeld (Familie, Freude, Verein) überhaupt nicht.
Erwachsene müssen sensibel beobachten und Probleme der Kinder immer ernst nehmen. Im Endeffekt kommt es auch gar nicht so sehr darauf an, wo die Probleme herrühren. Sie sind da. Das ist ein Fakt.
Basis der Lösungsarbeit sollte der Ist-Zustand sein. Die nächsten konstruktiven Gesichtspunkte sind bestehende Möglichkeiten, einen Zustand so schnell wie möglich zu verbessern.
Sich nicht nur auf das System verlassen
Sicher ist es im Fall von Ausgrenzungen und Übergriffigkeiten in der Schule richtig, auch Lehrer miteinzubeziehen.
Lehrkräfte müssen offen sein und sich kooperativ verhalten, wenn sich Eltern oder Schüler sich mit Themen wie Mobbing, gewaltsamen Übergriffen oder bösen Hänseleien an sie wenden.
Dennoch sehen sich selbst die nettesten und sozialsten Lehrer oft einer Übermacht oder einem System gegenüber, wo sie kaum oder nur wenig ausrichten können.
Ist eine Schule grundsätzlich als sozialer Brennpunkt oder schwierig verrufen, sollten Eltern auch einen Schulwechsel in Betracht ziehen. Handelt es sich um einzelne Vorkommnisse in einem ansonsten förderlichen Umfeld, können Gespräche und Maßnahmen an der aktuellen Schule Früchte tragen.
Leugnen Lehrkräfte bestehende Gewalt-Problemen oder gehen Mobbing und Ausgrenzungen sogar von Lehrkräften aus, ist die Veränderung des Lernumfeldes oftmals die einzige Möglichkeit, Schüler aus einem gewaltbereiten Umfeld zu befreien.
Grundsätzlich sind Eltern und Schüler aber auch dazu aufgerufen, sich nicht nur auf Schule, Lehrkräfte oder geltende soziale Normen und Regeln zu verlassen. Opfer von Gewalt und Ausgrenzung im Schulalltag müssen selbst bei sich Zuhause und bei der eigenen Persönlichkeit tätig werden.
Selbstbewusstsein und Persönlichkeit stärken
Das Selbstwertgefühl von Mädchen und Jungen wird schon ab dem Moment gefestigt, in dem Eltern und andere verantwortliche Persönlichkeiten die Probleme der jungen Menschen ernst nehmen.
Die Ursachenforschung kann ein Teil des Lösungsprozesses sein. Trotzdem sollten Betroffene vornehmlich nach vorne schauen. Schuldzuweisungen und Erklärungen sind nur ein schwacher Anteil der Hilfe zur Selbsthilfe.
Vielmehr müssen Jugendliche, die Zielscheibe von Übergriffen sind lernen:
• Formen von Gewalt und negativen Einflüssen zu erkennen, zu benennen und zu meiden.
• Sich effektiv gegen Attacken zu schützen.
• Bestenfalls nicht mehr zu reagieren.
• Schlagfertiger und resoluter zu werden.
Dabei helfen Maßnahmen wie Persönlichkeits-Coachings und Körperarbeit. Das muss nicht immer Kampfsport sein auch milde Sportarten wie Yoga, Feldenkrais oder bestimmte Atemtechniken verhelfen unsicheren Kindern zu einem besseren Stand im Leben.
Selbstvertrauen lernen Schüler, indem sie zunächst über Themen wie Selbstzweifel, Passivität, zu viel gutes Vertrauen, aber auch die eigenen Stärken, Fähigkeiten und Rechte informiert werden.
Weiterhin müssen Opfer von Gewalt und Ausgrenzung im privaten Raum ausreichend Ausgleich und Möglichkeiten zum Krafttanken haben. Konstruktive Umfelder, die optimistisch und positiv gestimmt sind, fördern Selbstvertrauen und Resistenz gegen Attacken.
So liebe Schüler und Eltern, nun seid Ihr dran! Wie erlebt Ihr den Alltag an Eurer Schule oder mit Euren Schulkindern?
Kennt Ihr Ausgrenzungen und Gewalt? Seid Ihr selbst betroffen oder erlebt Ihr es bei Mitschülern? Nutzt die Kommentarfunktion und erzählt mir von Euren ganz persönlichen Erfahrungen!